Vieles von der Polemik um das Thema „Digitalisierung“ in den Schulen beruht offensichtlich auf einer falsche Vorstellung davon, was „Digitalisierung“ überhaupt ist, oder sein soll. Mit der Angst der Menschem lässt sich trefflich Geld verdienen, weswegen das auch getan wird. Es wäre eine Unterstellung, zu behaupten, den Autoren liege gar nicht viel an der Sache, sondern mehr an Geld und Einladungen in Talkshows.
Nicht hilfreich halte ich aber Behauptungen, die pauschalisieren. Computer sind schlecht für Kinder. Medien machen dumm. Das ist etwa so, als wolle man Mohnbrötchen verbieten, weil man aus Mohn Opiate herstellen kann. Die, nebenbei bemerkt, in der Medizin eine große und wichtige Rolle spielen. In der Debatte wird der Missbrauch von Medien in einen Topf mit situationsgerechter zielgerichteter Verwendung geworfen.
Betrachtet man sich die Klassifikation im ICD-10, so wird deutlich, dass sich Abhängigkeitskriterien immer deutlicher auch auf nicht-stoffliche Abhängigkeiten beziehen lassen (F63.). Noch deutlicher wird dies im für 2022 erwarteten ICD-11 (Computerspielsucht, 6C51ff). Medien können also missbräuchlich eingesetzt werden. Die Aufnahme in den ICD ist in sofern bemerkenswert, da die Krankenkassen diesem Katalog folgen und somit faktisch eine Anerkennung als Krankheit vorliegen wird.
Klar ist also: Medien bieten Abhängigkeitspotential und die damit verbundenen negativen Folgen für die Gesundheit. Das ist, fragt man Pädagogen keine große Überraschung, beobachten wir diese Entwicklung schon seit langer Zeit. Und gerade deshalb ist Medienbildung und Digitalisierung etwas, dass Schulen sich unbedingt zum Thema machen müssen. Die Elterngeneration unserer Schülerinnen und Schüler sind die ersten „digital natives“. Zu großen Teilen haben sie aber den Anschluss verloren, da ihre medientechnische Sozialisation im Jugendalter weitgehend ohne omnipräsentes Internet und ohne Smartphone stattgefunden hat.
Die Schule muss deshalb zwingend Verantwortung übernehmen und diese Lücke füllen. Dies ist aber nur möglich, wenn wir in den Schulen die Lebensrealität der Jugendlichen abbilden und an diese anknüpfen können. Computer- und Medienunterricht hat seit jeher das Problem, dass er der technischen Entwicklung derart hinterherhinkt, dass ein Großteil der Schülerinnen und Schüler diesen Unterricht als “seltsam” empfindet.
Natürlich ist nicht jeder, der Medien konsumiert potentiell für eine Abhängigkeit gefährdet. Ich würde jedoch Mediennutzung in (mindestens) drei Bereiche aufteilen: Den reinen Konsum zur Unterhaltung, die Nutzung von Medien als Werkzeug (Tools) und die Verwendung des Netzes als Informationsquelle. In allen Bereichen ist die Schule gefordert.
Zunächst sollen die Jugendlichen lernen, Medien kontrolliert und reflektiert zu konsumieren und Gefahren unkontrollierten Medienkonsums realistisch einschätzen. Weiterhin sollen sie ermutigt werden, die technischen Möglichkeiten produktiv zu nutzen. Dabei spielt sowohl der Umgang mit Hardware, als auch der Umgang mit Betriebssystemsoftware und Anwendungssoftware eine Rolle. Hier geht es nicht darum, eine spezielle Software zu lernen. Vielmehr sollten Kompetenzen vermittelt werden, die für eine Aufgabe ideale Softwarelösung zu finden und sich dann in diese einarbeiten zu können, um im Anschluss wirklich produktiv zu sein.
Ich beobachte immer häufiger, dass Jugendliche Schwierigkeiten haben, gezielt Informationen zu finden und zu selektieren. Dies ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass es im Prinzip alles irgendwo im Netzt gibt. Man verlässt sich auf diese Maxime und ist dann im „Ernstfall“ von der Masse der Informationen und der Weite des Netzes erschlagen. Am Beginn muss also zwingend diese Problematik stehen: Informationen suchen, organisieren, bewerten und selektieren. Ohne diese Fähigkeit ist das Netz tatsächlich eine Gefahr. Es verleitet zum schnellen Arbeiten, dem unreflektierten Übernehmen irgendwelcher Informationen und damit zu einer gewissen Beliebigkeit im Umgang mit Informationen.
Medienunterricht sollte in meinen Augen also in drei Phasen ablaufen, die sich aber überschneiden, wiederholen und ergänzen müssen (Spiralcurriculum):
- Medien bewusst und reflektiert nutzen
- Informationen gezielt finden, bewerten und verarbeiten
- Konkretes Arbeiten mit Softwarelösungen und Diensten
Medienunterricht soll also in erster Linie kein Unterricht sein, der Klickanleitungen bietet. Die können die Jugendlichen sich auch als Tutorial anschauen. Trefflichstes Mittel wäre also eine Art „flipped classroom“, derart, dass die Schülerinnen und Schüler Anleitungen eigenständig und in ihrem eigenen Tempo aus Tutorial-Videos lernen, während im Unterricht konkrete Aufgaben erledigt werden, die von der Lehrerin betreut werden können, bzw. aktiv Diskussionen geführt werden. Zum Austausch wäre es wünschenswert, dass es eine interne, moderierte Chatplattform gibt (etwa wie Slack, Microsoft Teams, Micro Focus Vibe) in welcher Probleme außerhalb des Unterrichts diskutiert werden können.
Hierbei steht natürlich die Hürde des Datenschutzes, die geklärt werden muss. Das Land (Baden-Württemberg) werkelt intern seit Jahren an Lösungen, die vermutlich nie kommen werden. Andererseits gibt es genug Lösungen (Office 365 E3, G Suite Education, Zoho, Airtable), die ausgereift sind und in der Industrie verwendet werden. Es gäbe sicher Möglichkeiten für ein Service Level Agreement, welches Datenschutzrichtlinien vorgibt, die den Ansprüchen genügen. Ich glaube, dass dieses Geld wesentlich besser investiert wäre, als halbgare Eigenlösungen zu entwickeln, die hinten und vorne nicht funktionieren und letztlich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit mehr Sicherheitslücken aufweisen, als Industrielösungen.
Ohne diese Infrastruktur läuft unser Medienunterricht immer der Realität hinterher. Wir benötigen (ernstgemeinte) Investitionen in diesem Bereich und keine Alibilösungen („Lass uns mal 15 Tablets kaufen…“).