Buchtipp: Wahrheit und Verschwörung: Wie wir erkennen, was echt und wirklich ist

Ein in vielerlei Hinsicht beachtenswertes Buch hat der Philosoph Jan Skudlarek hier vorgelegt. Sprachlich ist das Buch auf höchstem Niveau. Damit meine ich nicht, dass es unverständlich ist. Im Gegenteil. Der Autor versteht es, die Sprache so einzusetzen, dass es dem Leser leicht fällt, auch kompliziertere Sachverhalte zu durchdenken. Zudem ist die Präsentation derart unterhaltsam, dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann. Das muss man erst einmal hinbekommen.

Auch inhaltlich bietet das Buch einiges. Skudlarek versteht es, schlüssig darzulegen, wie Verschwörungstheorien funktionieren und arbeitet Merkmale heraus, die vielen Theorien gemein sind. Dabei werden auch Werkzeuge vorgestellt, die hilfreich dabei sein können, herauszufinden, was „wahr“ ist. Der Begriff der Wahrheit ist natürlich aus philosophischer Sicht schon höchst komplex. Hier geht es aber nicht in erster Linie um eine Aufarbeitung des Begriffs im Allgemeinen, sondern um einen Konsens in Hinblick auf historische Ereignisse und davon abweichende Erklärungsmodelle, die teilweise in Kombination in sich schon inkonsistent sind.


An Beispielen aus der Forschung wird gezeigt, warum der Mensch zu bestimmtem Verhalten neigt, wenn sich sein Denken verändert. Hier liegt nach Ansicht des Autors auch die große Gefahr: Zunächst kann und darf jeder denken was er will. Letztlich verändert unser Denken aber auch unsere Handlungen. Insbesondere in Kombination mit unseren Gefühlen, neigen wir Menschen dazu, teilweise völlig irrationales Verhalten an den Tag zu legen (übrigens ist dies der grundlegende Ansatz der (kognitiven) Verhaltenstherapie). Dabei wird auch klar, warum es möglich ist, dass „Fake News“ Menschen in ihrem Denken und Handeln beeinflussen, selbst wenn sie wissen, dass Informationen nachweislich falsch sind. Und es erklärt, warum das Erzeugen (heftiger) Gefühle notwendiges Mittel beim Verbreiten von antifaktischen (so nennt der Autor das, was überbordend „postfaktisch“ genannt wird) Informationen ist.
Somit schafft das Buch auch Verständnis dafür, dass Menschen solchen Fälschungen aufsitzen und dass dafür nicht unbedingt „Dummheit“ Voraussetzung ist.


Empfohlen sei hier ergänzend das Buch „Das Internet muss weg“ von Schlecky Silberstein, der erklärt, warum die Mechanismen von Social Media die Verbreitung und „Infektion“ von Menschen mit Verschwörungen und Hetze (oft geht das einher) fördern.

Ein äußerst lesenswertes, frisches Buch, das zur Standardlektüre aller gehören sollte, die mit Menschen arbeiten, Entscheidungen treffen oder viel im Netz unterwegs sind. Die Sozialisation des Autors als Lyriker schlägt sich in fein formulierter Sprache nieder, die das Buch zu einem echten Lesegenuss machen.

Veröffentlicht bei Reclam, 208 Seiten, gebundene Ausgabe, 18€

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