Am Ende der Pandemie steht kein Topf mit Gold

Zum Glück neigt sich die Pandemie langsam dem Ende. Die Schulen haben wieder auf und man kann zurück zum Alltag kehren. Endlich wieder Tafeln mit Kreide, Bücher mit Veröffentlichungsjahr 2010 und Videos in 720 x 480 (Tonausgabe über den Lautsprecher des Projektors). Nachdem sich Schüler*innen mit Computern und Tablets ausgestattet haben, um während der Pandemie am Fernlernen teilnehmen zu können, können diese jetzt endlich auch sinnvoll genutzt werden, um während der Hausaufgaben (Recyclingpapier, A4, liniert, Doppelrand & Füller) Netflix zu streamen. Ein Hoch auf die Digitalisierung. Während sich fast alle einig sind, dass man sich während der Pandemie an viele positive Errungenschaften des digitalen Arbeitens gewöhnt hat, will man diese bewahren. Idealerweise aber nur für sich. Nicht für die Schüler*innen. Die machen doch nur Quatsch mit diesem neuen Zeug. Dass die Jugendlichen die Vorzüge, die digitalisiertes Material bietet, im Schulalltag auch gerne nutzen würden, zeigt sich in der steigenden Zahl an Anfragen, ob man im Unterricht private Endgeräte nutzen dürfe. Wenn wir davon ausgehen, dass Schule auf Ausbildung und Beruf vorbereiten soll, dann erscheint es geradezu absurd, dass man das überhaupt verbieten will. Natürlich bringen Tablets auch neue Probleme ins Klassenzimmer. Aber darf das ein Grund sein, in eine Bewahrhaltung zu verfallen und sich Entwicklungen, die im Alltag längst ganz normal sind, zu verschließen?

Meine Arbeit besteht aktuell darin, eine Benutzerordnung zu moderieren, in welche Vorschläge der KuK eingearbeitet werden. Die Vorschläge werden dabei von Tag zu Tag abstruser: Wie regelt die Benutzerordnung die Situation, wenn ein Kind vergessen hat, sein Tablet zu laden und der Akku leer ist? Mein Vorschlag, Ergometer im Schulhof aufzustellen, auf denen die Delinquenten dann Milliamperestunden in ihr iPad radeln müssen, wurde als Polemik abgetan.

Wie soll man Unterricht machen, wenn die Kinder alles im Internet suchen? Und wie Noten machen, wenn man nicht weiß, ob Sören-Jan das jetzt selbst gewusst hat oder es ihm Siri geflüstert hat? Ja mei, indem man halt kein Trivial Pursuite spielt, sondern sich echten Problemen widmet. Na klar, auch um komplexe Probleme zu lösen, braucht man eine Wissensbasis. Man kann nicht immer alles googeln. Vokabeln muss man lernen. Aber vielleicht steckt dahinter auch etwas anderes.

Ich habe den Eindruck, es gibt Kolleg*innen, die ihren Unterricht mühsam auf einem ausgeklügelten System von Repressalien aufgebaut haben. Die digitale Entwicklung erodiert ein solches System, weil es bei Wissenslücken schnell unterstützt und zuweilen ungewöhnliche Ideen und Lösungen zutage bringt, die nicht im Plan stehen. Digitalität fördert Serendipität. Wenn man natürlich nach dem Hannibal Smith Prinzip unterwegs ist und es liebt, wenn ein Plan funktioniert, kann sich das nach einem Kontrollverlust anfühlen. Das Problem ist: Der Struggle ist real. Unsere Welt ist so unfassbar komplex, dass wir ständig improvisieren müssen, weil sich Situationen schnell ändern. Wer hat sich nicht schon über Politiker amüsiert, die einen ganz klaren Plan hatten und dann wie der Ochse vor dem Berg standen, weil sich die Voraussetzungen grundlegend geändert hatten?

Indem man versucht, diese Entwicklung möglichst aus den Klassenzimmern zu halten, macht man sich nicht nur das Leben einfach, sondern den Schüler*innen auch das Leben schwer. Und auf die Zukunft bereitet man sie nicht vor. Außer diejenigen, die Lehrer*innen werden wollen. Vielleicht schaffen die es ja noch, das System so lange am Leben zu halten, dass man selbst davon “profitieren” kann.

Es ist ein Armutszeugnis, dass unser Bildungssystem in großen Teilen nicht in die Zukunft schaut, sondern mit Genugtuung in die Vergangenheit. Als alles noch besser war. Analog. Und mit Rohrstock.

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